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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER


Lina Ganowski

Zwei oder drei Dinge, die kaum jemand über sie wissen will


(Der Metzger 108, Januar 2014)


Die feudalen Ehen wurden von den feudalen Familien ausgehandelt. Irgendwann erfuhr eine 13jährige, mit welchem Adelsnachfolger sie verkuppelt wurde. Dann kam die Romantik, und im Bündnis mit ihr die Aufklärung. Rousseau postulierte die Liebesheirat. Ein Fortschritt, von dem Gedanken getragen, daß der Mensch über sich selbst bestimmen soll. Schade nur, daß die Sexualität das neue Haus, das für sie gebaut wurde, auch nicht verlassen durfte.

Ehen werden im Himmel geschlossen. Schade nur, daß darunter zu selten der siebte Himmel für die Eheleute zu verstehen ist, sondern der Bauplatz für Luftschlösser.

Bei aller Liebe und bei allen Geigen, von denen der Himmel voll hängt: Daß jedes, aber auch wirklich jedes sexuelle Bedürfnis nur im Rahmen einer von der Gesellschaft einhellig akzeptierten Lebensgemeinschaft erfüllt werden darf, ist unmöglich. Genauso naiv wäre der Anspruch, das Fleisch, das man verzehrt, dürfe nur aus eigener Schlachtung stammen, nur der Verzehr von Gemüse aus dem eigenen Garten wäre moralisch, und alles, was man sich anzieht, müßte selbst genäht und selbst gewebt sein, und in einem Haus dürfe man nur wohnen, wenn man es mit eigenen Händen gebaut hat. Wer außerhalb einer dauerhaften Beziehung sich sexuelle Lustbefriedigung verschafft, sucht vielleicht nach etwas „anderem“, das er innerhalb der Beziehung gar nicht erleben will – so wie jemand, der im Restaurant nicht das gleiche essen will wie zu Hause.

Daß auf dem Gebiet der Prostitution Phänomene festzustellen sind, die man nicht akzeptieren darf, daß es Zwangsprostitution und Menschenhandel wirklich auch gibt, ist nicht durch sie selbst verursacht. Die Ursache für Ausnutzung, Zwangsverhältnisse bis zur Leibeigenschaft, Menschenhandel und Verelendung ist im Umgang der bigotten Gesellschaft mit der Prostitution zu finden. Wenn man das Wort „Würde“ in den Mund nimmt, sollte von der unwürdigen und respektlosen Art die Rede sein, mit der eine züchtige Gesellschaft die Frauen stigmatisiert, die ein gesellschaftliches Bedürfnis bedienen, das offensichtlich existiert. Wenn gar davon geredet wird, die Prostitution „entwürdige“ nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer, kommt eine Vorstellung von „Würde“ zum Vorschein, daß nur der eine „Würde“ hat, der sich immer so anständig benimmt wie es der bösen Nachbarin gefällt.

Die Nutznießer von Menschenhandel und Zwangsprostitution profitieren von der gesellschaftlichen Ächtung der Prostituierten – so wie auch die Rauschgiftkartelle nichts so sehr fürchten wie die Legalisierung der Drogen.

Darüber zu räsonieren, wie freiwillig oder unfreiwillig Prostituierte ihre Arbeit tun, ist müßig. Dann könnte man nämlich jegliche Berufstätigkeit verbieten. Es gibt auch Zwangsarbeit und Sklavenarbeit in unserer Zeit. Also alle Fabriken und Büros schließen, mit Hinweis auf den stummen Zwang zur Berufsarbeit? Daß „keine Frau sich freiwillig prostituiert“ ist ein (feministisch-konservativer) Gemeinplatz, der genauso viel Wert ist wie die „Erkenntnis“, daß kein Mensch freiwillig morgens ins Büro geht. So wie Berufsarbeit nie völlig losgelöst ist vom Zwang zur Notwendigkeit, ist sie auch nie völlig losgelöst von Selbstverwirklichung.

Godard hat in „Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“ den Einstieg in die Prostitution nicht als Sache von Feiwilligkeit, sondern von gesellschaftlicher Folgerichtigkeit dargestellt. Prostitution findet statt, weil damit Geld verdient werden kann und weil Geld verdient werden muß. „Moral“ verhilft da nicht zur Erkenntnis.

Wenn akzeptiert würde, daß Sexarbeit ein Beruf ist wie andere auch, wäre dem Menschenhandel ein Hindernis in den Weg gelegt. Sexarbeit als Beruf heißt aber auch, daß sie gesellschaftlichen Prozessen unterliegt.

Sexarbeit geht über die herkömmliche Prostitution hinaus. Zur Sexarbeit gehört ebenso die Herstellung und Herausgabe von Magazinen, die Gestaltung von Internetseiten, der Betrieb von Clubs und die Arbeit als Model. Auf allen Gebieten der Sex-Branche haben Frauen an Boden gewonnen. Frauen stehen nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera, sind nicht nur Darstellerinnen, sondern auch Regisseurinnen, nicht nur weisungsgebundenes Dienstpersonal, sondern kreative Gestalterinnen. Wenn ich anfangen würde, als Beispiele Namen zu nennen, könnte ich gar nicht mehr aufhören.

Auch ist es ein Vorurteil, daß Sexarbeit nur von Frauen ausgeübt und nur von Männern in Anspruch genommen wird. Das alles ist nicht völlig neu, aber heute in größerem Maße vorhanden als zuvor.

Das Gerede über Sexarbeit im allgemeinen und Prostitution im besonderen offenbart nicht nur Unkenntnis, sondern auch den Unwillen etwas zu erkennen, was umso weniger davon abhält, Urteile abzugeben. Wer von nichts eine Ahnung hat, ist sich seiner Meinung umso sicherer.

Die Männer, die die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen, werden „Freier“ genannt. Was für ein Quatsch! Die Leute gehen doch nicht zu den Prostituierten, um sie zu heiraten. Das sind keine Freier, sondern Kunden. Sollte ich mal die Dienste eines Elektrikers benötigen, mache ich ihm keinen Heiratsantrag, sondern gebe ihm einen Auftrag.

Es gibt kein Menschenrecht, Frauen zu kaufen.“ Nein, gibt es nicht. Es gibt auch kein Menschenrecht auf Tapeten. Also: Alle Tapeten runter von der Wand!

Wie kommt man eigentlich auf die Idee, ein „Freier“ würde „eine Frau kaufen“? Nimmt er sie mit nach Hause und stellt sie in die Vitrine? Oder in die Garage? Daß man „Frauen kaufen“ kann, darauf könne man vielleicht da und dort bei der bürgerlichen Ehe kommen. Bei der Prostitution ist genau das Gegenteil der Fall. Und die Prostituierten verkaufen auch nicht ihren Körper. Sie erbringen eine Dienstleistung.

Konkret hat nicht ganz Unrecht, wenn sie die Frau Alieze Schwarzer als „Antifeministin“ bezeichnet. Aber Undine de Rivière vom verdienstvollen Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistung irrt, wenn sie im Konkret-Interview sagt: „Es gibt Prostitutionsgegner aus verschiedenen Lagern. Einerseits sind da die christlich-konservativen Vertreter, die Prostitution als unmoralisch ansehen. Andererseits gibt es aber auch die feministische Kritik.“

Das sind nicht verschiedene Lager. Auch wenn sie sich im Vokabular noch ein wenig unterscheiden: sie sind aus einem Holze.