WB-Logo

Buchhandlung Weltbühne
Stand: 16.1.2020

Inhalt und Impressum Chronik der Änderungen Vorwort Ladenlokal Lieferbedingungen Datenschutzerklärung
Neu eingetroffen Verlagsneue Bücher Ohrauf: CDs und Cassetten Videos und DVDs
Antiquariats-Liste Antiquariat Spezial Antiquariat Abkürzungen
Der fliegende Koffer Situationspostkarten Boudoir
METZGER-Index METZGER-Archiv METZGER-Glossar
Bücher von Helmut Loeven
Amore e rabbia
Weblog von Helmut Loeven

Externe Links:A.S.H. Pelikan
Hafenstadt-BlogMarvin ChladaDFG-VK Duisburg

Metzger-Archiv

Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER


Lina Ganowski

#let‘s misbehave


(Der Metzger 129, März 2019)


Daß Frauen in der Berufswelt (auch dort) benachteiligt werden, und zwar unabhängig von der Stufe auf der „Karriereleiter“, gehört zur Allgemeinbildung. Dabei hält sich mein Mitgefühl für „Führungskräfte“ und sonstige erfolgsprogrammierte Figuren in Grenzen, und zwar unabhängig vom Geschlecht.

Daß ganz an der Spitze der Chef noch ein Patriarch von Schrot und von Korn mitsamt entsprechender Hierarchen-Moral ist, kommt aus Kitschromanen. Im Film-Business managen Experten für Geldwäsche und Abschreibungsgeschäfte.

Daß es sie noch gibt, die „Besetzungs-Couch“, auf der werdende oder schon gewordene Filmstars (weiblich) die Gunst des Film-Moguls erlangen, habe ich nicht geglaubt. Ich glaube es eigentlich immer noch nicht.

Es ist schon nicht hasenrein, die Kampagne mit dem Hashtag als „MeToo-Debatte“ rumzureichen. Debatte? Wer debattiert da und um welche Standpunkte?

Die Emanzenbewegung ist, ebenso wie der Firmenpatriarch vom Lauf der Zeit weggeschoben worden, wirkt aber (ebenso wie dieser) ideologisch weiter. Die Hasch-mich-too-Kampagne ist ein Schutz-Biothop einiger feministischer Schnaps-Ideen.

Zum Beispiel: Urteil ohne Beweis. Urteil auch ohne Beweisbarkeit (Aussage gegen Aussage), das ist das Fatale. Aber diese Fatalität wird genutzt. Für die Verurteilung in sexuellen Sachen reicht die Anklage (siehe mein furioser Beitrag in DER METZGER 44). Aber auch damit brauchen wir uns nicht mehr abzugeben. Immer wieder steht in der Zeitung: Dieser Dirigent und jener Intendant wurde entlassen wegen Belästigungs-Verdacht.

Zum Beispiel: die totale Gleichsetzung. Zotig-anzügliche Anmache?Danebengegangenes Kompliment? Mißverständliche oder absichtlich mißverstandene Annäherung? Nettes Kompliment? Vergewaltigung? Oder der am Set lautgewordene Regisseur? Sexuelle Nötigung? Popo getätschelt? Da gibt es keine Unterschiede. Auf allem steht: möglichst die ganze Existenz ruinieren. Eliminiert wird nicht nur der Unterschied zwischen schwerer und geringer Schuld, sondern auch zwischen Schuld und Unschuld.

Zum Beispiel: Das Aufbauschen. Daß Woody Allen mit einer volljährigen, mit ihm nicht blutsverwandten Frau liiert ist, wurde ihm in der Emma als Inzest und Kindesmißbrauch angehängt (siehe DER METZGER 90). Fotos eines 27jährigen Models werden als „pädophil“ bezetert – wegen des mädchenhaften Flairs der jungen Dame.

Zum Beispiel: Die angemaßte Stellvertretung. Nicht die „betroffene“ jugendliche Person klagt an, sondern die Sittenwahrer. Nebenwirkung: Personen im Jugendalter werden sexuell entmündigt (siehe DER METZGER 87).

Zum Beispiel: Verjährung gibt‘s nicht. Es gibt ja auch keine Bagatellen. Nicht nur das: Eine vor 10, 20 Jahren unter dem Siegel der Liebe getane und erlebte sexuelle Handlung kann immer noch zur existenzvernichtenden Anklage werden, wenn die einst Geliebte ihrem Lover Rache geschworen hat oder evangelikal erweckt wurde.

Zum Beispiel: Das Gieren nach Skandal. Die latente Botschaft von der Allgegenwart des Monsters.

Zum Beispiel: Das Einfordern von Gefolgschaft. Die prominenteste Kritikerin des Me-Too-Hass-Tags, Cathérine Deneuve fand mahnende Worte. In einem Radiobericht wurde die linksliberale Pariser Zeitung Le Monde in der Deneuves Erklärung erschien, als „konservative Zeitung“ bezeichnet. Die Haschmich-Geschworenen haben den Fortschritt gepachtet.

Was hat Cathérine Deneuve denn wirklich gesagt? Und was wird ihr in den Mund gelegt? Wer eine sexuelle Belästigung nicht von einem Flirt unterscheiden kann, behauptet, sie hätte sexuelle Belästigung gerechtfertigt.


Niemand, dem das Me-Too-Spektakel nicht behagt, rechtfertigt sexuelle Belästigung und bagatellisiert Vergewaltigung, handelt sich aber solche Vorwürfe ein. Da müssen wir durch. Gegen die sexuelle Gewalt, der einerseits Frauen, andererseits Kinder ausgesetzt sind, zu agieren ist nötig – kulturell, publizistisch, juristisch, politisch, wobei der Blick auch mal weiter schweifen darf als auf den Fokus zu kurz gekommener Erfolgsmenschinnen. Doch wo im sexuellen Kontext Anklage erhoben wird, stellen sich Nebenwirkungen ein, die nicht vermieden werden, wenn sie nicht vermieden werden sollen. Was die Me-Too-Kampagne betrifft, sind die unangenehmen Nebenwirkungen die eigentliche Absicht.


Die Absicht ist nicht zu verkennen. Die Gelegenheit ist günstig, ein neues, altes Verhältnis der Geschlechter zu etablieren. Kern: Delegitimierung der Lust.

Wenn sich keiner mehr was traut, dann bleibt es dabei: Eine von Ästhetik und Erotik gereinigte, dafür umso korrektere Sexualordnung, gegen Risiken und Überraschungen abgesichert. Sexuelle Kontakte – wie schon vorgeschrieben an kalifornischen Universitäten – auf der Grundlage eindeutiger Willenserklärung – am besten noch notariell beglaubigt. Wer meint, daß ich übertreibe, der öffne die Ohren!


Leidtragende werden wieder die Frauen sein, die mehr wollen als einen unbeanstandeten Vertrags-Sex. Ihre Wünsche, Sehnsüchte und Phantasien, ihre Visionen von Glückseligkeit werden sie – hoffentlich nicht alle – der inneren feministischen Kontrolle opfern, vor dem feministischen Über-Ich verleugnen und niederringen.

Und soll ein Konkurrent aus dem Weg geräumt werden? Irgendeine, der er mal vor 20 Jahren die Tür aufgehalten oder in den Mantel geholfen hat, wird sich schon finden lassen.