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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER



Jakop Heinn:

Das Märchen von den „Lohnnebenkosten“

DER METZGER Nr. 52 (Mai 1997)


Folgt man der Unternehmerpropaganda, dann ist der „Wirtschaftsstandort Deutschland“ in Gefahr. Die größte Belastung, unter der er ächzt, sind die „Lohnnebenkosten“.

Aber das ganze Gerede von den Lohnnebenkosten ist Unsinn. Denn es gibt gar keine „Lohnnebenkosten“. Es gibt nur Lohn.

Lohn ist der Preis für die Arbeitskraft, die der Werktätige dem Kapital verkauft. Der Lohn wird teilweise zurückbehalten und als Quellensteuer (Lohnsteuer) an den Fiskus abgeführt oder als Sozialversicherungsbeiträge an die Sozialkassen. Der restliche Lohn wird als sogenannter Nettolohn ausbezahlt, und zwar entweder in monatlichen Raten oder jährlich (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld). Die sogenannten Lohnnebenkosten sind Teil des Lohns.

Von den Unternehmern, ihren Parteien und Medien wird verkündet, die Lohnnebenkosten müßten unbedingt gesenkt werden. Im Klartext heißt das: die Löhne müssen gesenkt werden. Die Demontage des Sozialstaates ist nichts anderes als der Zugriff auf den Lohn.

Ein Teil des Lohns wird, wie gesagt, in die Sozialkassen eingezahlt. Aus ihnen werden die Arbeitslosen versorgt (mehr schlecht als recht), die Renten ausgezahlt (demnächst auf einem „niedrigeren Niveau“) und die Kosten für ärztliche Behandlung finanziert. Wenn nun den Leuten unverhohlen gesagt wird, die Rente, die sie dereinst zu erwarten hätten, würde nicht ausreichen als auskömmliche Altersversorgung, man täte gut daran, private Vorsorge zu treffen, dann sagt der Minister Blüm unter dem Gekicher seiner Auftraggeber, damit würde die Verantwortung des freien Individuums gefördert und die Bevormundung durch den Staat zurückgenommen. Wovon ein Langzeitarbeitsloser, ein Sozialhilfeempfänger, eine alleinerziehende Mutter, ein Hilfsarbeiter oder eine Arbeiterin in der Leichtlohngruppe noch ein Vermögen fürs Alter zurücklegen soll, sagt der Minister allerdings nicht. Er will uns ja nicht bevormunden.

Nun spart mal schön und laßt den Vertreter von der Lebensversicherung kommen. Der Steuerfreistellungsbetrag für Sparzinsen wird unterdessen gesenkt und aus den Erträgen der Lebensversicherung bekommt der Fiskus auch einen größeren Teil. Damit die Steuern für Reiche gesenkt werden können.

Den Kranken werden höhere „Zuzahlungen“ auferlegt (auch „Selbstbeteiligung“ genannt). Das heißt: Im Krankheitsfall übernimmt die Krankenkasse nicht das volle Risiko. Ein Teil des Risikos bleibt beim Versicherten hängen. Nachdem ihm der Krankenkassenbeitrag vom Lohn abgeknappst wurde, soll er sich auch noch „selbst“ beteiligen. Wer glaubt, im Versicherungsfall die Leistung der Versicherung beanspruchen zu können, wird ausgeschimpft: „Versorgungsmentalität!“, „Besitzstandsdenken!“

Ob Rentenkürzung oder Selbstbeteiligung im Krankheitsfall - der gemeinsame Nenner lautet: ein Teil des Sozialrisikos wird auf den Nettolohn abgewälzt (der natürlich nicht steigen darf).

Die Gesundheitsreform des Ministers Seehofer nimmt keine Rücksicht auf die Volksgesundheit. Sie dient nur dazu, die Löhne zu senken. Der Einwand, daß eine umfassende Gesundheitsvorsorge dem Gemeinwesen Lasten ersparen würde, daß ein gesunder Arbeitnehmer mehr leisten könnte, läuft ins Leere. Denn an Menschenmaterial mangelt es nicht. Darum kann man es hemmungslos verschleißen.

Eine Regelung mutet besonders kurios an: Wenn die Krankenkasse den Beitrag erhöht, sollen auch die Zuzahlungen steigen. Das dient dem Ausgleich. Und es ist christlich. Wenn man dir in die linke Tasche greift, dann halte auch die rechte hin.

Gewiß, es ist die blödeste Idee aller Zeiten. Aber nur, wenn man die Philosophie des Kapitals nicht begriffen hat: die Armen sollen zahlen. Wenn du mehr bezahlen mußt, dann mußt du zur Strafe noch mehr bezahlen. Die erhöhte Zuzahlung ist eine Strafgebühr für höhere Beiträge. Schließlich muß auch in der sozialen Marktwirtschaft alles seine Ordnung haben.