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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER



Jakop Heinn:

Gänsefüßchen


Der Metzger Nr. 67 (Juli 2003)


Als in Berlin gegen den Irak-Krieg demonstriert wurde und sich über 500.000 Menschen an der Kundgebung beteiligten, hat das nicht allen gefallen. Das ist gut und nicht schlecht. Eine Friedensdemonstration, die keinem wehtut, ist keine. Und: Das ist alt und nicht neu. Die Hunde bellen, der Ostermarsch zieht weiter. Vielleicht sammelt mal jemand all die feindseligen Kommentare, die der Friedensbewegung seit den 50er Jahren hinterhergebellt wurden, all die Kommentare, in denen sich Unkenntnis und Paranoia ein Stelldichein gaben. Man wird sie in zwei Kategorien einteilen können: solche, in denen die Dummheit von der Boshaftigkeit, und solche, in denen die Boshaftigkeit von der Dummheit übertroffen wurde.

Die Berliner Friedensdemonstration hat einige Leute dazu hingerissen, eine Erklärung von sich zu lassen, in der von „Strömungen“ die Rede ist, „deren Weltbild durch Naivität geprägt ist“.

Daß Naivität in der Politik zu fatalen Verirrungen führen kann, ist wohl wahr. Vor Naivität sollte man besser dreimal als nur zweimal warnen. Aber komisch ist das in diesem Fall schon, denn in der Erklärung „An die Friedensbewegung“ sprechen die „UnterzeichnerInnen“ von „VeranstalterInnen“ und „OrganisatorInnen“. Dabei hat sich doch herumgesprochen, daß im InnInnen-I die NaIvItät Ihren GIpfel fIndet.

Was werfen die Naiven, außer naiv zu sein, der Friedensbewegung vor? Und was, außer ihrer eigenen Naivität, offenbaren sie dabei?

„Im Vorfeld der Demonstration wurde klar, daß auch Gruppierungen dorthin mobilisierten, deren politisches Weltbild durch Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus bestimmt ist. Den drohenden Imageschaden vor Augen und bereits mit vereinzelten Kritiken konfrontiert, kündigten die VeranstalterInnen an, entsprechende Transparente entfernen zu lassen. Es dämmerte den OrganisatorInnen offensichtlich, dass sich eine Demonstration, die sich dem Thema 'Frieden' verschrieben hat, politisch unglaubwürdig macht, wenn sie solche Kräfte in ihren Reihen duldet.“ Aha! Die „OrganisatorInnen“ haben nicht etwa von sich aus etwas gegen „solche Kräfte“. Es geht ihnen nur um ihr Image. Und es „dämmert“ ihnen, weil man sie mit der Nase drauf gestoßen hat. Von gleicher Infamie ist auch die Unterstellung, die Friedensbewegung sei ein Fan-Club von Saddam Hussein. Da es dafür keinerlei Belege gibt, wird einfach behauptet, daß die „Kritik der Verhältnisse im Irak“ nicht „über Lippenbekenntnisse hinausgeht“.

Auf Transparenten „wurden Israels Politiker als 'Kindermörder' beschimpft“. Ach, wurden etwa im Palästina-Konflikt jemals Kinder getötet? Es gibt Leute, die wollen nur die getöteten palästinensischen Kinder beklagen. Die „UnterzeichnerInnen“ des „Offenen Briefes“ sind da die besseren Menschen: Wenn palästinensische Kinder gezielt und mit Absicht getötet wurden, dann mußte das natürlich sein. Aber wenn die Mörder von Kindern als Mörder von Kindern tituliert werden, dann ist das schlimm und antisemitisch.

„Auf Transparenten und Schildern war einerseits das ganze Arsenal des antiamerikanischen Ressentiments zu finden: der Wille zur Weltherrschaft, die Stilisierung des amerikanischen Establishment zu blutrünstigen Kriegstreibern, die Identifizierung der USA mit Geld und kaltem Interesse, die Kulturlosigkeit der Amerikaner und daraus fast zwingend folgend: die einseitig positive Besetzung des europäischen Gegenentwurfs (nicht zuletzt ausgedrückt durch die trotzige Bezugnahme auf das von Donald Rumsfeld ausgemachte 'alte Europa').“ Ja, wie kann man auch nur! Wie kann man nur angesichts der Politik der USA auf den Gedanken kommen, dahinter stecke der Wille zur Weltherrschaft? Wie kann man nur Bush und Konsorten für Kriegstreiber halten? Wie kann man nur auf die Idee verfallen, die Politik der USA sei von Interessen bestimmt? Wie kann man nur glauben, daß Bush und Konsorten sich aus Geld was machen? Wie kann man nur so bösartig sein, in dem zum höchsten Grad der Verblödung gesteigerten amerikanischen Patriotismus, in der Angewohnheit, sich ständig selbst auf die Schulter zu klopfen, und in dem infantilen Hang zur Rechthaberei etwas anderes zu erblicken als Kultur in ihrer höchsten Blüte? Und wenn Donald Rummsfeld sein Diktum dahersagt, hat man als anständiger Europäer in vorauseilendem Gehorsam den Kontinent im Meer zu versenken.

Und andererseits? Ich meine: Wenn man einen Satz mit „einerseits“ anfängt, müßte irgendwann „andererseits“ kommen. Kommt aber nicht.

Der „Offene Brief“ bleibt im „Einerseits“ stecken. In ihrer unkritischen Haltung gegenüber extremistischen Strömungen in Israel werfen sie der Friedensbewegung eine angeblich „unkritische Haltung gegenüber … extremistischen Strömungen im arabischen Raum“ vor. Wer die extremistischen Strömungen nur im arabischen Raum sieht, der stört sich in Wirklichkeit nicht daran, daß sie extremistisch, sondern daran, daß sie arabisch sind. Wer einerseits im Glashaus sitzt, sollte andererseits nicht mit Dreck werfen.

Der Wille, „daß alle in Frieden leben können“ ist ein „naives Bedürfnis“. Mag sein. Doch sind auch die Naivsten in der Friedensbewegung nicht so naiv wie die Unterzeichner des Offenen Briefes verirrt sind.

Unter denen aus der dritten bis vierten Reihe der gelehrten Köpfe, die dieses Werk unterzeichnet haben, sind auch Prof. Dr. Michael Wolffsohn und Ilka Schröder, Mitglied des Europäischen Parlaments. Da wächst ja was zusammen…

So findet man also zur Heiterkeit zurück: Ilka Schröder, die bereits im Alter von zwölf Jahren ins Europaparlament gewählt wurde und allerwelt zeigt, wie man ewig zwölf Jahre alt bleibt, beklagt die Naivität anderer Leute.

Die Friedensdemonstration in Berlin war für sie „ein Zeichen für das kollektive Volksempfinden der Deutschen“: „Bis zu 91 Prozent der Bevölkerung sind laut Umfragen gegen einen Irak-Krieg. Die letzte Kriegshandlung, gegen die ein so großer Anteil der Deutschen eingetreten ist, wird wohl die Befreiung Deutschlands und Europas vom Nazi-Faschismus gewesen sein.“ Hier muß ich passen. Dieser Vergleich ist dermaßen bescheuert, daß die Polemik kapitulieren muß. Für sie ist „klar, daß die Unterstützer der Demo die Parallele zu anderen US-amerikanischen Kriegen selbst herstellen“. Das ist zwar gut, aber Ilka findet es schlecht.

Friedensgruppen werden zu „Friedensgruppen“ in Gänsefüßchen, und die Friedensbewegung ist eine sogenannte solche. Wenn jemand es versäumt hat, gegen den Jugoslawienkrieg zu protestieren, heute aber gegen den Irakkrieg protestiert, dann könnte er ja heute klüger sein als damals, aber Ilka meint, „daß er sich in die Nähe einer antiamerikanischen oder antisemitischen Position begibt“. Wieso „oder“? Ein Antisemit ist doch, wer von Bush nicht begeistert ist. Man sieht: Auch Ilka muß noch lernen.

Aber das kann sie schon: „Der … latent vorhandene Amerikahass der Deutschen wird nun im Angesicht des amerikanischen Vorgehens am Golf zum ersten Mal seit Bestehen der BRD nicht nur von unten, sondern als Staatsprogramm von der politischen Führung des Volkes mit ihm gemeinsam ausgelebt.“ Das findet auch Angela Merkel, nur drückt die das nicht so geschwollen aus.

Aber dann ist Ilka von der Rolle: „Nur bei einem kleinen Häufchen von Kriegsgegnern kann ich eine aufrechte antimilitaristische Haltung erkennen. Voraussetzung dafür ist es, auch gegen den Angriffskrieg der eigenen rot-grünen Regierung an der Seite der völkisch-islamistischen UCK gegen Jugoslawien Widerspruch geäußert zu haben.“ Ja, da können einem doch glatt die Gänsefüßchen von der Friedensbewegung fallen.

Aber so sind sie, die Gänsefüßchen-Linken: Jeder hat da seinen Lieblingskrieg: Rotgrün in Jugoslawien, die Antideutschen am Golf.