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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER


Helmut Loeven:

Mit Haut und Haaren


Der Schriftsteller Günter Wallraff soll der „Stasi“ was erzählt haben.


Der Metzger Nr. 68 (Dezember 2003)


Um den Schriftsteller Günter Wallraff wurde eine Affäre gemacht. Er soll, so hat die sogenannte Behörde der Frau Birthler mitgeteilt, für das Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik („Stasi“) tätig gewesen sein. Die sogenannte Behörde ist zielstrebig darum bemüht, Günter Wallraff zu desavouieren. Er ist nicht der erste, dem solche Vorwürfe angehängt werden, und er wird auch nicht der letzte sein. Daß man gerade ihn aussuchte und gerade jetzt, ist allerdings kein Zufall. Für die Propagandabehörde war die Bekanntheit ihrer Zielperson nicht allein ausschlaggebend.

Hätte die Birthler-„Behörde“ sich nicht auf den Wallraff verlegt, sondern - sagen wir mal - auf mich (was natürlich eine sehr hypothetische Annahme ist), wäre meine Reaktion darauf klipp und klar gewesen. Ich hätte gesagt: „Ich war für das Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik niemals tätig. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Ich weise die Behauptung der sogenannten Behörde der Frau Birthler deshalb zurück, weil sie nicht den Tatsachen entspricht, und nicht etwa deshalb, weil ich die Unterstellung als ehrenrührig empfände. Ich bedaure, daß ich mich nie für das Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik habe nützlich machen können. Wäre die Regierung der DDR zu solchem Behufe an mich herangetreten, hätte ich ohne Zögern meine Mitarbeit zugesagt. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß ich in der Konfrontation zwischen der BRD und der DDR mit der gebotenen Eindeutigkeit und Einseitigkeit für die DDR Partei ergriffen habe.“ Punkt. Das wäre die auf Stasi-Verdacht bezogene Version von „Wissen Sie, was Sie mich mal können?“.

Von Günter Wallraff war eine solche zurückschmetternde Reaktion nicht zu erwarten - und darum nahm man sich ihn vor. Wallraff hatte sich bereits nach der sogenannten Wende in den Chor derer eingereiht, die sich mittels DDR-Verpetze beim Zeitgeist liebkind zu machen versuchten (siehe DER METZGER 63). Wer auf Wallraff herumkaut, beißt nicht auf Granit. Der hat den Einheiz-Moralisten den kleinen Finger gereicht und wundert sich nun, daß die ihn auffressen mit Haut und Haaren. Wallraff, der sich heute noch seiner Beziehungen zu Wolf Biermann rühmt, kam seinen Entlarvern insofern entgegen, daß er reumütig bekannte, sich seinerzeit nicht rechtzeitig und deutlich genug vom Regime in der DDR distanziert zu haben.

Im Deutschen Fernsehen ließ sich Wallraff zu dem, was ihm angehängt wurde, befragen und sich mit Hubertus Knabe konfrontieren. Das allein ist schon ein Unding. Solch einen Satz wie „In diesem Punkt stimme ich Herrn Knabe zu“ hat man nicht zu sagen. Als Mensch von Charakter unterläßt man es, sich mit Hubertus Knabe in einem Raum aufzuhalten. Man betritt einen Raum, in dem sich Hubertus Knabe aufgehalten hat, erst, nachdem gründlich gelüftet wurde.

Dieser Hubertus Knabe, eine jener nichtsnutzigen Bürgerrechts-Existenzen, spreizte sich vor der Kamera mit süffisantem Grinsen. Ein richtiges hohes Tier der westdeutschen Linken vor die Flinte getrieben zu sehen: das war ein großer Tag für ihn, und er, mit seinem inferioren Charakter, grinste in einem fort. Er führte sich auf wie ein Klassen-Streber, der seinen inneren Reichsparteitag erlebt, weil ein Mitschüler beim Abschreiben erwischt wurde. Der Mann glaubt, er wäre wichtig, dabei kann er noch nicht mal Wichtigkeit schauspielern.

Das ganze DDR-Bürgerrechts-Gesocks hat seine Heimat in der CDU oder in deren Nähe gefunden, also bei denen, für die die bürgerliche Freiheit doch stets nur ein Hindernis ist bei der Festigung der „inneren Sicherheit“. Im Bundestag haben die aus der Bürgerrechts-Bewegung stammenden Karrieremacher alle brav das Händchen gehoben, als der Große Lauschangriff beschlossen wurde. Mit der Abneigung gegen Dienste, die über Bürger Erkenntnisse sammeln, ist es bei denen nun gerade überhaupt nicht weit her. Im Gegenteil! Daß die, die sich durch die Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik eingeengt fühlten, zu kleinkarierten Aktenfetischisten wurden, denen das Denunziantentum zum Lebenszweck geworden ist, konnte jeder erwarten, der zwei und zwei zusammenzählen kann.

Dem Knaben war darum zu tun, alles, was Günter Wallraff in seinen besseren Zeiten enthüllt hat, wieder zu verhüllen: Giftgas bei der Bundeswehr etwa „hat es nie gegeben“. Alles, was an Mißständen und Mißlichkeiten der alten Bundesrepublik jemals ruchbar wurde, „hat es nie gegeben“. Warum? Weil die DDR darüber bescheidwußte. Wer gegen alte Nazis in hohen Ämtern jemals Einspruch erhob, hat der Diktatur in die Hände gespielt. Für solche Vernebelung beschäftigt die Bundesrepublik eine Behörde.

Nach dem Öffnen der „Rosenholz“-Dateien wurde Wallraff als erster zur Zielscheibe der Denunzianten. Er hat es ihnen leicht gemacht. Und er wird nicht der letzte sein. In Zeiten, in denen sich die Lage breitester Bevölkerungsschichten rapide verschlechtert, in denen sich die Überwindung der DDR für die meisten in Ost und West als Verlust erweist, kommen auf die Denunzianten große Aufgaben zu.

Die Schnüffler der Gauck/Birthler-Behörde saugen sich jetzt lustvoll an West-Prominenten fest. Nicht nur die westdeutsche Linke, sondern überhaupt die westdeutsche Politik wird von ihnen als DDR-hörig beargwöhnt. Sie wollen sich jetzt gern Genugtuung verschaffen für die Enttäuschung darüber, daß „der Westen“ mit der DDR sich arrangierte und sogar Geschäfte machte, anstatt einzumarschieren und an den Mitgliedern der SED den Kommissar-Befehl anzuwenden. Die hassen uns so, und darum kennen die kein Maß.

Die DDR mit ihrem ganzen Beschönigungs-Jargon („Wir sind dauernd am Siegen!“) war eine Gesellschaft, in der parteiliche Kreativität eine zu geringe, Subalternität eine zu große Rolle spielte. Es waren nicht unbedingt die Besten, die der Linie am treuesten waren, und nicht unbedingt die Schlechtesten, die mit den Mächtigen in Konflikt gerieten. Mit Opportunisten läßt sich kein sozialistischer Staat machen. Die ganz Schlauen aber sahen in den Mächtigen im Westen die wahren Herren. Sie wollten tiefer hinaus, indem sie sich nicht den Herren des Landes, sondern den Herren der Welt anbiederten. Das waren die Ober-Opportunisten, auch „Bürgerrechtler“ genannt.

Die Lebensleistung von Hubertus Knabe, aus der er das Empfinden moralischer Überlegenheit schöpft, besteht darin, sich auf die richtige Seite gestellt zu haben. Darum will ich auf die falsche Seite. Der Knabe steht auf der richtigen Seite, und ich stehe auf der falschen. Das ist meine Lebensleistung. Wenn die Seite, auf der der Knabe steht, die richtige ist, will ich auf der falschen stehen.