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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER



Helmut Loeven:

Jede Sekunde ein Hering


Der Metzger Nr. 69 (März 2004)


Yoghurt-Universität
oder Wozu braucht der Mensch eine Elite?

Daß Rotgrün jetzt auf „Elite-Universitäten“ abfährt, wundert manchen. Dabei paßt das doch sehr gut zur liberal-konservativen Regierung Schröder.

Die Sozialdemokratie ist - natürlich - eine politische Strömung. Ihr Einfluß auf die Politik in - nehmen wir es als Beispiel, weil wir uns damit ein bißchen auskennen: Deutschland ist nicht zu verkennen. Es gab Zeiten, da hat sie das eine oder andere fabriziert, das gar nicht so unnütz war. Es gab (und gibt allerdings kaum noch) Männer und Frauen aus den Reihen der Sozialdemokratie, die man als ganz honorige Persönlichkeiten akzeptieren wollte (vor allem, wenn man sie mit ihren konservativen Kontrahenten verglich). Allerdings ist die Sozialdemokratie auch ein Gemütszustand. Die Politologie mit ihren Methoden allein kann die Sozialdemokratie nicht erklären. Man muß die Psychologie - besser vielleicht noch die Chaosforschung hinzuziehen.

Die Grundform sozialdemokratischen Empfindens liegt in der Kommunalpolitik, und zwar da, wo sie die Mehrheit hat. Dort ist die Sozialdemokratie vollkommen mit sich selbst identisch.

In Rheinhausen, noch vor der Eingemeindung zu Duisburg 1975, sollte das Gymnasium einen Namen bekommen. Es gab zwei Vorschläge. Der eine lautete: Krupp-Gymnasium. Der andere, das Gymnasium nach einem Rheinhausener Sozialdemokraten zu benennen, der von den Nazis ermordet worden war. Für welche der beiden Möglichkeiten hat die SPD sich entschieden? Dreimal dürfen Sie raten. (Obwohl es nur zwei Möglichkeiten gibt, dürfen Sie dreimal raten). Nun, der Psychologe wird sagen: Beim Blick in die Abgründe der Seele kommt zuweilen Monströses zutage, das sind wir gewohnt. Für Kanonen-Krupp, der sich dumm und dämlich verdiente am Massensterben der Proletarier aller Länder im Ersten Weltkrieg, der seine Leute auf die Straße setzte und von einem auf den anderen Tag aus der Krupp-Werkswohnung warf, wenn sie sozialdemokratischer Umtriebe nur verdächtig waren, verraten die ihren Blutzoll. Die sind auch bereit, die nächsten 12 Wahlen und ein Drittel ihrer Mitglieder zu verlieren, wenn sie mal zehn Minuten neben dem Chef von Siemens stehen dürfen. Auch der Sozialdemokrat sucht Bestätigung in den Aktienkursen, nicht in der Dichte und Qualität und Erschwinglichkeit von Waren und Dienstleistungen.

Monströs ist das Bauklötzchenspielen der SPD. Sozialdemokratische Kommunalpolitiker begnügen sich nicht damit, sich von Architekten irgendwelche Modelle vorführen zu lassen. Nein. Das muß dann tatsächlich auch gebaut werden. Am wohlsten fühlen die sich mit einem Helm auf dem Kopp beim Richtfest auf einer Großbaustelle. Für Universitäten sind sie vor allem deshalb zu haben, weil sie darin vor allem gigantische Bauvorhaben sehen. Das Lebenswerk eines sozialdemokratischen Kommunalpolitikers besteht darin, möglichst viel Kubikkilometer Erdreich bewegt und möglichst viel Stockwerke Beton aufeinandergeschichtet zu haben. (Die sozialdemokratischen Kommunalpolitiker tragen sogar Unterwäsche aus Beton). Wenn die Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling irgendetwas sieht, muß das sofort abgerissen werden, damit es größer und bombastischer wieder aufgebaut werden kann: Mercatorhalle, Wedaustadion. Gelsenkirchen hat die „Arena auf Schalke“. Da sagen sie in Duisburg: „Sowas wollen wir auch haben.“ Oberhausen hat ein „Centro“. „Sowas wollen wir auch haben.“ Zugleich wird die Kaufkraft wegreformiert, so daß den Anbietern von Waren und Dienstleistungen, den Fachgeschäften auch jetzt schon das Wasser bis zum Hals steht. Aber: egal. Daß die gesamte Bevölkerung von Hamburg mehrmals im Jahr nach Berlin und zurück reisen müßte, um so ein Ding wie den Ultrarapid (oder wie das heißt) wirtschaftlich betreiben zu können, daß ausgerechnet im Ruhrgebiet auch so ein Rapid-Dingen hinsoll, wo es hier doch das dichteste Schienennetz der Welt gibt - alles egal. Denn das letzte bißchen Verstand wird preisgegeben für das Glücksgefühl, Zauberwörter wie „Technologie“ und „Innovation“ in die Rede einzuflechten.

Warum hat Duisburg eine U-Bahn? Weil die anderen eine haben. Darum wurde zehn Jahre lang die Innenstadt in ein Loch verwandelt, damit man jetzt vier Minuten schneller in Meiderich ist. Das sind jetzt nur noch drei Haltestellen, früher waren es zwölf. Um vier Minuten schneller in Meiderich zu sein, muß man jetzt acht Minuten länger zur Haltestelle gehen. (Hat eigentlich schon jemals irgendjemand vorgehabt, nach Meiderich zu fahren? Lassen die einen da überhaupt rein, dessen Vorfahren nicht dort geboren sind?).

Ach ja, ich wollte ja eigentlich was zu den Eliteuniversitäten sagen. Davon bin ich ganz abgekommen. Aber daß diese Schnapsidee das Reform-Konzept der Willy-Ära „Bildung für alle“ verrät, darauf sind Sie auch selbst schon gekommen, vielleicht auch darauf, daß „Bildung für alle“ verraten & verkauft war oder werden würde schon zu Zeiten, als es noch propagiert und postuliert wurde. Also ist eigentlich nicht mehr zu sagen als das:

Es ist nichts anderes geplant als die Förderung akademischer (Aus-)Bildung auf drei oder vier Universitäten und darüber hinaus vielleicht noch drei oder vier Fakultäten zu konzentrieren und alles andere verkümmern zu lassen. Nichts anderes. Einige Hochschul-Lobbyisten träumen vielleicht von lichten Höhen. Aber „Eliteuniversitäten“ werden nur die sein, die vom Kaputtsparen des Hochschulwesens ein bißchen verschont bleiben.

Wer die „Eliteuniversitäten“ der USA (Yale, Prineton, Harward) kopiert, kopiert dann zwangsläufig auch die anderen amerikanischen Universitäten. Deren Niveau reicht an das einer durchschnittlichen deutschen Fachoberschule beiweitem nicht heran. Ja, man sollte durchaus nach Amerika gucken, nämlich um zu lernen, wie man es nicht machen soll.

Der fortwährend propagierte „Wettbewerb unter den Hochschulen“ ist das Gerede von Dummköpfen, das Resultat irrsinniger Marktgläubigkeit. „Wettbewerb unter den Hochschulen“ - da faßt man sich doch an den Kopf!

Die Bildungsinhalte werden in keinster Weise von den Interessen des Kapitals abweichen, sondern ihnen noch weiter untergeordnet werden als bisher. Die rotgrünen Vorstellungen von „Universität“ ähneln fatal den falschen Vorstellungen der Spießer, die in den 60er Jahren ihre Söhne und Töchter auf höhere Schulen schickten, in der irrigen Erwartung, dadurch mitsamt ihrem Nachwuchs in lichtere Höhen der Gesellschaft „aufzusteigen“, und die stattdessen durch die Revolte und die Große Verweigerung schockiert wurden. Mit einer Wiederholung solcher Entwicklungen rechnen allerdings jetzt nur noch die kühnsten Optimisten. Die „Eliteuniversitäten“ werden wohl eher Brutstätten der Schnösel sein und das hervorbringen, was die Studentenbewegung einst „Fachidioten“ nannte: „erfinderische Zwerge“ (Brecht), Ehrgeizlinge, hochqualifiziert und ohne jede Bildung. Wer die deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre Revue passieren läßt, sollte von „Elite“ eigentlich die Schnauze voll haben. „Elite“ ist so ziemlich das Gegenteil von de, woran es wirklich nottut: Avantgarde! Wie wär's mal mit ein paar Avatgarde-Universitäten?

Ja, Bildung ist eine feine Sache, Bildungspolitik eine wichtige. Auch die Begabtenförderung sollte nicht zu kurz kommen. Bildungspolitik ist ja Zukunftspolitik, hört man. Da wird doch wohl die Frage erlaubt sein, wie die Zukunft aussehen soll.

Wer will, daß es um die Bildung besser bestellt sein soll, der muß dann allerdings bei den Grundschulen anfangen. Dort, wo die Opfer der Verelendungsprogramme der Bundesregierung zu besichtigen sind, ist bildungspolitische Initiative vonnöten: an den Hauptschulen, die zu Brutstätten des Analphabetismus geworden sind. Daß die weiterführenden Schulen sich wieder ihrer ursprünglichen Aufgabe, der Begabtenförderung zuwenden können, dürfte weitaus schwieriger sein, aber auch sehr viel nötiger als all das Gequatsche von Eliteuniversitäten. Und wer den bildungspolitischen Wert der Volkshochschulen verkennt, sollte von Bildungspolitik besser die Finger lassen.

Die „Spitzenstellung im internationalen Wettbewerb“ hat Vorteile, gewiß. Für wen? Und wer hat garantiert nichts davon? Wichtiger als das Abräumen von Medizinnobelpreisen ist der gut ausgebildete Landarzt, das gut ausgestattete Krankenhaus am Rande der Stadt. Wichtiger als der Elite-Uni-Megastar ist der Realschullehrer. Wichtiger als Innovation ist Lebensqualität. Wichtiger als Elite ist Intelligenz. Doch die hat dem Weg nach oben noch immer Schaden genommen.


Jetzt ist der Müntefering SPD-Vorsitzender

„Jetzt ist der Schröder auch noch SPD-Vorsitzender. Ob der überhaupt schon mal hinter seinem neuen Schreibtisch im Erich-Ollenhauer-Haus gesessen hat?

Wir erinnern uns: Als dem Björn Engholm in Schleswig-Holstein ein Sieg in den Schoß gelegt wurde, glaubte die Partei, ein leuchtender Stern wäre aufgegangen. Sie machte Engholm zum Parteichef und glaubte, jetzt die Wunderwaffe zu haben. War nichts.

Da aber hatte die SPD eine ganz tolle Idee: Den Vorsitzenden von der Parteibasis wählen zu lassen. Millionen Sozialdemokraten können nicht irren. Wer bei einer Ur-Wahl gewählt wird, der kann ja nicht zu schlagen sein. Die Parteibasis suchte sich unter den drei Kandidaten die trübe Tasse aus: Scharping, glaubte jetzt die Wunderwaffe zu haben und sang: 'Jetzt geht's lo-hos! Jetzt geht's lo-hos!'

War wieder nichts. Da ließen sie den Scharping fallen, damit endlich mal ein richtiger Parteichef ans Ruder kommt: Lafontaine! Jetzt - endlich - hielt sich die SPD für unschlagbar.

Aber damit war es dann ja auch nichts. Der hat in den Sack gehauen, und die SPD war froh, ihn los zu sein. Jetzt konnte - endlich - der Superstar Schröder ans Ruder. Denn das mit der Doppelspitze - der eine Regierungschef, der andere Parteichef - das war ja nichts. Das mußte endlich mal in einer Hand vereinigt werden.

Wäre es bisher umgekehrt gewesen, dann wäre es jetzt der letzte Schrei und der Weisheit letzter Schluß, die Ämter zu trennen. Denn nur so ist das was, nicht?

So stand es in DER METZGER 57 (1999). Und in Klammern wurde hinzugefügt: „Jetzt, wo Schröder SPD-Vorsitzender ist, ist die SPD ganz abgeschafft.“

Die SPD ist eine Partei, die in dem Moment zu sich selbst gefunden haben wird, in dem sie sich ganz abschafft. Ihre Aufgabe ist, das Aufbegehren der Arbeiterklasse zu „integrieren“, d.h. zu kontrollieren und zu neutralisieren (das braucht man ihr noch nicht einmal aufzutragen). Was der Arbeiterklasse zugemutet wird, wird ihr durch die SPD „vermittelt“. Sie hat kein Problem damit, der arbeitenden Bevölkerung Verarmungsprogramme zuzumuten. Sie hat nur ein „Vermittlungsproblem“. Mancher hat der SPD vorgeworfen, mit der Billigung der Kriegskredite 1914 gegen ihre heiligen Grundsätze verstoßen zu haben. Das ist nicht richtig. Die SPD ist dazu da, Kriegskredite zu bewilligen, das ist ihr Daseinszweck.

Man hat den Eindruck, daß die SPD kurz vor Vollendung ihres historischen Auftrags steht. Wenn das geschehen ist, wird sie nicht etwa, womit sie rechnet, vom BDI in die Arme genommen, sondern dann heißt es: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann verschwinden. Wenn kein Wunder geschieht, wird Schröder 2006 die Wahl verlieren. Da kann die CDU sich so blöd anstellen wie sie ist, sie wird die Regierung übernehmen und für ein paar hundert Jahre behalten. Nach dem, was heute absehbar ist, wird die SPD nicht mehr hochkommen. Wozu auch? Wozu braucht man noch einen Apparat der Integration, wenn die Apparate der Überwachung, Einschüchterung, Verwirrung und Vereinzelung vervollkommnet sind?

Weil die SPD jetzt als eine Arbeiterpartei für eine Unternehmerpolitik brauchbar ist, glaubt sie, auch zukünftig noch gebraucht zu werden.

Als Schröder den Parteivorsitz übernahm, bedeutete das: die Partei wird ruhiggestellt; sie soll beim Regieren nicht stören. Immerhin ist die SPD-Führung zu der Einsicht gekommen, daß allein mit Schröder kein Wahlsieg garantiert ist. Dem sozialdemokratischen Kanzler steht kein Kanzlerbonus zur Verfügung.

Als Schröder den Parteivorsitz übernahm, glaubten die Sozialdemokraten, einem Mißstand (der Trennung der Ämter) abgeholfen zu haben und gerieten prompt in die Jetzt-geht's-lo-hos-Stimmung. Jetzt wird der Mißstand (die Vereinigung der Ämter) abgeschafft, auf dessen Zustandekommen man einst stolz war.

Man sollte noch weiter im METZGER zurückblättern und in Nr. 23 den Kommentar von Lothar Röse zum Sturz Willy Brandts 1974 nochmal lesen. Da erfährt man: Die waren schon immer so. Wenn man den Sozialdemokraten sagte: Brandt: passé, jetzt: Schmidt, dann sagten die: Aha! Als man denen sagte: Doppelspitze passé, jetzt: Schröder ist beides, da sagten sie: Aha! Wenn man denen jetzt sagt: der Weisheit letzter Schluß: passé, Doppelspitze ist der letzte Schrei, dann sind die getröstet. Dann glauben die, mal wieder ein Wunder vollbracht zu haben. Wenn einige Sozialdemokraten (sofern sie noch in der Partei sind) verstört sind, wenn es den Rentnern, den Arbeitern, den einfachen Leuten an den Kragen geht, dann deshalb, weil sie das alles nicht mehr verstehen. Also muß der „Franz“ es ihnen „vermitteln“: Es gibt keine Alternative, wir müssen den Armen das Geld wegnehmen, weil wir es sonst den Reichen wegnehmen müßten, und das dürfen wir auf gar keinen Fall, denn die Profitrate ist das einzige in diesem Land, das unantastbar ist. Müntefering hat gesprochen. Aha.

Das Manöver mit Müntefering wird den Niedergang der SPD nicht aufhalten. Er kann höchstens die verbliebenen Sozialdemokraten bei Laune halten. Aber letztlich ist es egal, ob die SPD mit Katzenjammer oder siegesgewiß verliert.