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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER


Helmut Loeven:

Prohibition

oder Genuß als ziviler Ungehorsam


(Der Metzger 79, April 2007)


Es soll ja gar nicht bestritten werden und es kann vernünftigerweise auch gar nicht bestritten werden, daß der Gebrauch von Tabak der Gesundheit abträglich sein kann und daß auch Personen, die sich dauernd in der Nähe eines rauchenden Rauchers aufhalten, dadurch Schaden nehmen können. Ebenso soll und kann nicht bestritten werden, daß in einem Raum durch exzessives Abbrennen von Tabak eine Atmosphäre entstehen kann, die den Aufenthalt dort unangenehm sein läßt und gar zu Befürchtungen um das Wohlergehen Anlaß gibt. Dies wurde als Mißstand erkannt, und es entwickelt sich ein enormer Eifer, dem abzuhelfen. Die Regierung höchst selbst, die in den letzten Jahrzehnten kein einziges Problem selbst erkannt oder gar gelöst hat, hat sich vom Eifer hinreißen lassen – ach, was sage ich: ganz Europa steht auf.

Mit demselben Argumentationsmuster, nach welchem jetzt ein möglichst allgemeines Rauchverbot begründet wird, ließe sich auch ein allgemeines Verbot von Alkoholkonsum, Autofahren, Süßwaren, Geschlechtsverkehr und Umgang mit elektrischem Strom begründen.

Ich wäre in der Lage, aus der Lamäng eine Reportage über die katastrophalen Wirkungen des Alkohols zusammenzuschustern und am nächsten Tag eine Reportage über die Kultur des französischen Weinbaus.

Es dürfte keine Mühe machen, nachzuweisen, daß der Alkohol enorme Schäden anrichtet, viel größere Schäden übrigens als der Tabak. Man denke an die vielen durch den Alkohol zerstörten Existenzen, geknickten Karrieren, verarmten Familien, an die Kinder, die in Alkoholikerfamilien aufwachsen müssen, an die Gefährdung von Jugendlichen durch den Alkohol. Der Alkohol beeinflußt viel tiefer das Bewußtsein und das Sozialverhalten eines Menschen als der Tabak. Einen Berauchten habe ich noch nie gesehen, wohl aber schon oft einen Besoffenen, und das war nicht immer angenehm. Die sozialen und pekuniären Lasten, die der Volkswirtschaft durch den Alkoholkonsum entstehen, stehen denen nicht nach, die durch den Tabak verursacht werden. Kann der durch den Alkohol und durch den Tabak zu erlangende Genuß die Inkaufnahme all ihrer Nachteile rechtfertigen?

Ist der Konditor ein weniger gefährlicher Krimineller als der Schnapsverkäufer und der Zigarrenhändler, wenn man bedenkt, daß 40, 60, 80, 100, 120 Prozent der Bevölkerung durch Übergewicht die Krankenkassen im wahrsten Sinne des Wortes belasten?

Mit der Fortbewegung verhält es sich ebenso: kann, ja darf man überhaupt automobile Maschinerien, befestigte Straßen und die Erfindung des Rades als Menschheitsfortschritte auffassen, angesichts der Zahl von 5000 Menschen, die pro Jahr in Deutschland bei einem Verkehrsunfall ihr Leben verlieren? Ist das, was man von den Unfallstationen der Krankenhäuser hört, nicht Grund genug, das Autofahren, ja überhaupt jeglichen Straßenverkehr zu verbieten (denn nicht nur Autofahrer verursachen Unfälle)? Auch dieser Themenkomplex bietet die Möglichkeit, volkswirtschaftliche Folgekosten bis in die Zigmilliardendimension hinaufzurechnen. Die zwangsweise Stillegung von Verbrennungsmotoren würde sich gut in die gegenwärtige Klima-Besorgnis einfügen lassen.

Das Geschlechtsleben nimmt in der Skala der Menschheitsgefährdungen eine Sonderstellung ein. Wenngleich die geschlechtlichen Genüsse (sofern man dazu ein kreatives Verhältnis zu entwickeln imstande ist) die des Tabaks, des Alkohols, des Pflaumenkuchens und der schnellen Fortbewegung beiweitem übertreffen, so ist das Geschlechtliche im allgemeinen Konsens per se unterschwellig negativ konnotiert. Die Sexualität ist eben von einer die Balance der Verwertungslogik gefährdenden Unberechenbarkeit, gegen die Kirche und Konvention den Konstrukt der falschen Scham ins Spiel bringen. Das Niederringen des Begehrens war und ist die Voraussetzung für Entstehen und Aufrechterhalten einer Verwertungsgesellschaft. Der Lust haftet die Erbsünde an. Auch der verstohlene Blick auf den schönen, runden, wackelnden Arsch einer vorbeigehenden jungen Dame wird dem Betrachter als Fehlverhalten angelastet. Die die Lust thematisierende Literatur & Kunst entsteht in der Halbillegalität, und der Pornograf ist ein Terrorist. Da in Zeiten der künstlichen Befruchtung die Geschlechtsbeziehung auch nicht mehr als Notwehr gegen die Schweinerei der Natur hingenommen werden muß, hat Eros gar keinen Trumpf mehr in der Hand. So kann man getrost die Sexualität als schaurig-schönen Abgrund von Vergewaltigung, Mißbrauch und Aids bedenklich finden und die Attitüde der Empörung vorschalten, um sich zu suhlen.

Was nun also? Außer dem Rauchen auch den Wein, das Bier und den Schnaps, das Süßgebäck, die Fortbewegung mittels Fahrzeug und jegliche geschlechtliche Betätigung zur europäischen Ordnungswidrigkeit erklären? Oder, wenn nicht alles auf einmal, einen Teil davon? Gründe gäbe es hinreichend, und sie würden sich nicht von den Gründen unterscheiden, die für das allgemeine europäische Rauchverbot genannt werden.


Ein Alkoholverbot gab es bekanntlich in den USA fast anderthalb Jahrzehnte lang. Die Folgen waren verheerend. Der Alkoholismus wurde durch die Prohibition nicht eingedämmt, sondern er breitete sich rasant aus. Zugleich wuchs die wirtschaftliche und politische Macht der Mafia-Konzerne.

Der Hinweis auf die Fehl-Wirkung der Prohibitionen (und ich meine damit auch die fatale Cannabis-Prohibition) bleibt wirkungslos. Denn die Prohibition ist eben nicht ein (geeignetes oder ungeeignetes) Mittel, um ein Übel zu beseitigen, sondern ein Mittel der Stigmatisierung, der Beschuldigung. Prohibition ist keine Methode, die sich zu bewähren hätte, sondern ein Prinzip, auf dem sich reiten läßt.

Außer dem Stichwort „allgemeines Rauchverbot“ ist ein zweites zu hören: „Nichtraucherschutz“. Um den Nichtraucher richtig in die Rolle des Opfers zu setzen, geben Wissenschaftler sich zu so einer absurden Behauptung her, der „Passivraucher“ sei mit Schadstoffen sogar noch mehr belastet als der Raucher. Das muß so sein. Denn das unschuldige Opfer muß dermaßen als unschuldig und dermaßen als Opfer stilisiert werden, damit die Beschuldigung des schuldigen Täters umso heftiger geschleudert werden kann.


Und dennoch ist der Schutz des unschuldigen Opfers, das Klagen über Schäden und Verluste vorgeschoben. Bei der Frage „Rauchen erlauben oder verbieten“ geht es – wie immer – um den Diskurs hinter dem Diskurs. Letztlich haben die, die sich durch den Qualm der anderen belästigt oder gefährdet fühlen, in denen, deren Lebensprinzip die Prohibition ist, schlechte Anwälte gefunden.

Ich sage es noch einmal: Es soll und kann nicht bestritten werden, daß der Tabak über den Genuß hinaus Wirkungen hat, die der Gesundheit abträglich sein können. Doch weitaus größer als dieser einzuräumende Schaden ist jener Schaden, der durch die moralische Dummheit einer bevormundeten und bevormundenden Gesellschaft entsteht. Diese Gesellschaft ist eine von denen, die ohne Sündenböcke nicht auskommt und nicht auskommt ohne den Sünder, den sie verdammt. Sie wird geprägt vom Ungeist derer, die dem Mitmenschen mit dem Flammenschwert in der Hand entgegentreten, die im Mitmenschen grundsätzlich den potentiellen Täter, den Gefährder, den „Verursacher“ sehen.

Genuß ohne Reue“ war mal der Titel eines Buches über den Tabak, und hinter dem Titel stand ein dickes Fragezeichen. Von „Reue“ ist viel die Rede in letzter Zeit. Es wird gerade mal wieder gern mit dem Finger auf andere gezeigt: „Bereue!“ lautet die Aufforderung, vorgetragen von denen, die noch nie etwas zu bereuen hatten. Denn sie sind anständig, weil sie immer gehorsam waren den Vorgesetzten und den Zwängen. Sie haben Keuschheit gelobt, aber nicht für sich selbst, sondern für die anderen, und zwar für alle. Mit Neid verfolgen sie die, auf die sie das projizieren, was sie in sich selbst mühsam niederringen. Wer, angeblich zum Schutz von irgendwem, das Rauchen in der Öffentlichkeit verbieten will, bedauert insgeheim, daß er damit nicht auch noch in die Privatwohnungen vordringen kann.

Ich hatte mal einen Kunden, den ich – bevor ich seinen Namen erfuhr – wegen seiner unnachahmlichen Fabulierkunst und seiner Assoziationskraft den „Verrückten“ nannte, und das ist beinah der größte Ehrentitel, den ich zu vergeben habe. Seinen Pfeifentabak wählte er so sorgsam wie seinen Wein.

Ich mache mir nichts aus Alkohol. Aber das Schaufenster in Neudorf mit den unzähligen Whiskymarken imponiert mir. Kaum eine Flasche kostet weniger als 100 Euro. Das da wurde nicht am Fließband produziert, sondern in Werkstätten, mit der Erfahrung und Feinfühligkeit von Generationen. Ich bewundere die Klugheit französischer Weinbauern und die Kunstfertigkeit der alten Frauen, die in Kuba mit den Händen Zigarren drehen. Was sie schaffen, sind Kulturgüter, und was sie am meisten auszeichnet ist die Geduld. So soll das, was sie schaffen, genossen werden: langsam, konzentriert und geduldig.

Nicht nach der Reue des Genusses sollte gefragt werden, sondern nach dem Risiko. Wer die Risiken kennt, kann sie auf sich nehmen. Voraussetzung der Kultur ist die Bereitschaft zu riskanten Schritten. Ihr Ziel ist die Vervollkommnung des Lebensgenusses. Ohne Risiko ist das Leben nicht zu genießen, ohne Klugheit ist das Risiko nicht zu bewältigen.

Das Mißtrauen des Entsagenden gegen den Genießenden ist ein Schritt zum Fundamentalismus einer vor Phantasie geschützten Lebenskargheit. Es ist der Neid auf den Genußfähigen. fallen die Schranken der Entsagung, verfällt der Entsagende in Verfressenheit, Gier und banale Schweinigelei.


Ich war zu Besuch bei einer Nichtraucherin. Sie wollte mir nach dem Essen einen Aschenbecher auf den Tisch stellen. Ich verzichtete darauf, in der Wohnung zu rauchen, in der sonst nie geraucht wird. Ich rauche nicht in der Nähe eines Menschen, der erkältet ist, und auch nicht in Gegenwart von jemandem, der sich gerade das Rauchen abgewöhnt. Im Wald sowieso nicht. Nicht aus Zwang, sondern aus Respekt. Dieselbe Rücksicht, die ich anderen gegenüber leiste, verlange ich aber auch von anderen für mich selbst. Ich gebe kein moralisches Urteil über andere ab, verbitte mir aber auch jegliches moralisches Urteil über mich.

Dadurch, daß der Genuß kein bloßer Selbstzweck mehr ist, steigert er sich. Er ist zu einem Akt des zivilen Ungehorsams geworden.

Als der Erste Weltkrieg begann, verkündete der König von England, nun müßten alle Landsleute Opfer bringen. Er selbst würde sich jetzt das Rauchen abgewöhnen. Daraufhin hat Lord Bertrand Russell mit Rauchen angefangen. Er war nämlich gegen den Krieg.