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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER


Helmut Loeven:

Da ein Lied von



(Der Metzger 81, März 2008)


Wer nicht genauso denkt wie die CDU, der fliegt sofort aus der SPD.“ (Wolfgang Neuss).


Darf ich inmitten all der Ypsilanti-Hurra!-Rufe mal an das Ergebnis der Landtagswahl in Hessen erinnern? CDU knapp vor SPD, FDP deutlich vor den Grünen. Demnach wäre Koch der Gewinner. Daß er es nun aber doch nicht ist, kommt davon, daß die Linkspartei mit ein paar Mandaten in den Landtag gewählt wurde.

Die SPD hat im Hessischen Wahlkampf mal wieder ihre alte Milchmädchenrechnung aufgemacht und behauptet, wenn man Koch loswerden wolle, ginge das nur, indem man SPD wählt. Wer hingegen die Linkspartei wähle, der wähle damit (indirekt) Koch. Eine sehr indirekte Logik ist das. Vor der letzten Bundestagswahl hatte die sehr mitteilungsfreudige Frau Nahles auch schon vorgerechnet, daß die Stimmen für die Linkspartei indirekte Stimmen für die CDU-Kanzlerkandidatin Merkel seien. Später stellte sich heraus, daß die Stimmen für die SPD direkte Stimmen für Frau Merkel waren. Das hat die Mitteilungsfreudigkeit der Frau Nahles natürlich nicht verringert, bloß daß von ihr kein Eingeständnis gekommen ist oder zu erwarten wäre, daß sie vor der Wahl Quatsch geredet hat. Neu ist diese Milchmädchenrechnerei allerdings nicht. 1965, kurz vor der Bundestagswahl, erklärte Herbert Wehner: Wer DFU wählt, wählt die CDU. Bundeskanzler wurde dann CDU-Kiesinger mit den Stimmen der SPD.

Hinter den verqueren Rechenkunststücken steckt die Idee, daß die SPD das Monopol auf den Skalenabschnitt „links von der Union“ habe – eine Funktion, die die SPD weder jemals erfüllte noch jemals hätte erfüllen können. Und so wählt, wer die SPD wählt, irgendwie auch die CDU, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Große Koalition herauskommt oder nicht.

Sowohl die Bundestagswahl von 2005, als auch die Hessische Wahl von 2008 lassen nur diesen Schluß zu: Eine „Mehrheit links von der Union“ kommt nur zustande unter Hinzunahme der Linkspartei. Die stillschweigende Behauptung der SPD, die Wähler der Linkspartei wären ja „eigentlich“ SPD-Wähler, die unbotmäßigerweise fremdgegangen sind, ist unverschämt und unrealistisch. Gäbe es diese Linkspartei nicht, wäre sehr zu bezweifeln, daß deren Wähler dann die SPD wählen würden.

Für die CDU war die Sache am leichtesten. Entweder absolute Mehrheit oder zusammen mit der FDP als Mehrheitsbeschaffer. Die FDP hätte sagen können, daß sie „am liebsten mit der CDU koalieren“ wolle, versteifte sich aber darauf, „nur mit der CDU“ zu koalieren. Ein hohes Risiko für die Partei, die unbedingt in die Regierung will. Jetzt ist sie in Gefahr, wenn sie nur mit der SPD zusammen ins Kabinett kommen kann, wieder als Umfallerpartei dazustehen (beziehungsweise: zu liegen). Am verzwicktesten aber ist die Zwickmühle, in der die SPD steckt. Die hätten doch vorhersehen können, daß der Fall eintreten kann, daß sie mit den Grünen zusammen nicht die Regierungsmehrheit zustandebringt. Der Fall ist eingetreten, und er ist eine Falle.

Um aus dem Schlamassel rauszukommen, müßte die SPD die FDP rumkriegen. Der arglose Zeitgenosse wird sich fragen, warum die SPD partout nichts mit einem Partner zu tun haben will, mit dem sie größere Übereinstimmung hat als mit der FDP. Aber das ist es ja gerade. Sie sucht nach einem Ausweg aus ihrem Wahlprogramm. Mit der FDP als Partner kann sie ihre Wahlversprechen wie den vollmundig geforderten Mindestlohn unter den Tisch fallen lassen.

Unsereins braucht sich ja nun nicht den Wirrkopf der SPD zu zerbrechen (was die sich einbrocken, sollen die doch selbst auslöffeln). Nein! Dankbar müssen wir der SPD sein für ihre dogmatische Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit der Linkspartei! Der Linkspartei ist zuzutrauen, daß sie das Angebot einer Regierungsbeteiligung glatt annehmen würde. Dann aber wäre es aus mit der linken Herrlichkeit. Denn keine (Landes-)Regierung, auch keine mit linkem Juniorpartner, wäre in der Lage, die Exzesse des Kapitalismus einzudämmen. Nicht der Kapitalismus würde durch eine solche Regierung zerschlissen, sondern die Linkspartei. Mit der Linkspartei könnte (ob mit oder ohne Minister in irgendeinem Bundesland) dasselbe passieren wie mit den Grünen, bloß viel schneller. In der Geschichte passiert vieles gleich zweimal: erst als Farce, dann als Tragödie (so sagte es Karl Marx. Nur hat der die Reihenfolge verwechselt).

Man kann die Politik und Programmatik der Linkspartei durchforsten und ihr Reformismus attestieren, ihr gar vorwerfen, daß sie reformistische Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus verbreitet. Soll man auch. Man soll ihr gegenüber nicht unkritisch sein. Und man soll sich auch selbst keine Illusionen machen. Diese Partei ist vor Deformationen, gegen ein Abdriften auf diese oder jene Abwege nicht gefeit. Flügelkämpfe stehen ihr wohl auch noch bevor, die in sektiererische Prestigekämpfe ausarten können, und es ist nicht ausgemacht, daß ihr theoretisches Potential beziehungsweise die Integrationsfähigkeit ihrer Führung ausreichen werden, solche Kalamitäten zu meistern.

Aber das ändert nichts daran, daß sie eine beträchtlichen Wert hat, den man nutzen muß. Diese Partei hat bereits eine Kultur der Opposition geschaffen, und daran muß sie weiterarbeiten. Sie sorgt dafür, daß die Themen der Linken auf die Tagesordnung der politischen Auseinandersetzung gesetzt werden müssen. Auf ihrem Hauptbetätigungsfeld, den Fernsehdiskussionen, hat sie das Interpretationsmonopol neoliberaler Geschwätzführer durchbrochen. Sie erreicht ein breites Publikum und macht viele Menschen, die durch das linke Milieu kaum je erreicht wurden, mit Argumenten gegen die Politik der Herrschenden vertraut.

Ich höre das immer wieder in Gesprächen in der Nachbarschaft, an der Haltestelle, im Supermarkt etc. Die Leute machen ihrem Ärger über Regierung, Politiker, Parteien, Arbeitgeber et al Luft und sagen dann: „Nächstes Mal wähle ich die Linken“.

Wäre dieses Volk so dumm wie man öfter befürchtet hat, würden von der Enttäuschung die Rechten profitieren, wie schon mal in einer von Deklassierung gekennzeichneten Phase. Die unverdrossene und beharrliche Aufklärungsarbeit trägt bescheidene Früchte. Das ist ein Vorteil, den wir, bei aller Skepsis, nicht verspielen dürfen.

Koch hat mit seinem an reaktionäre Ressentiments appellierenden Wahlkampf diesmal keinen Erfolg gehabt. Das könnte darauf schließen lassen, daß diese Gesellschaft so langsam eine höhere Stufe der Zivilisiertheit erreicht. Es könnte aber auch daran liegen, daß der so bescheuert aussieht.

Inzwischen haben 17 oder 18 CDU-Politiker einen Brief geschrieben, in dem sie sich von Kochs ausländerfeinlichen Wahlkampftönen distanzieren (Oberbürgermeister Sauerland ist auch dabei). Nach der Wahl wohlgemerkt. Das ist drollig. Vielleicht hatten die vor der Wahl gerade keine Briefmarke zur Hand.

Aber vielleicht bleibt Koch ja doch. Andrea Ypsilanti wird auch in ihrer eigenen Partei gehaßt. Kann sein, daß sie im Landtag eine knappe Mehrheit zusammenkriegt, und dann bei der geheimen Wahl zur Ministerpräsidentin – m schwupp – m zwei oder drei Stimmen fehlen. Ob die sich schon mal mit der Frau Simonis unterhalten hat? Die kann da ein Lied von singen.

(Geschrieben am 2. Februar 2008).